Diabetes und Depressionen

150 Millionen Menschen leiden weltweit an Diabetes, einer Störung des Blutzuckerstoffwechsels. Allein in Deutschland gibt es acht Millionen Diabetiker. Damit ist Diabetes die größte aller Volkskrankheiten mit zudem immensen Folgekosten. Fünf bis zehn Prozent der Patienten sind Typ 1-Diabetiker. Ihre Autoimmunerkrankung setzt schon in der Kindheit oder Jugend ein. Hier zerstört der Körper die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse, die dadurch kein Insulin bilden kann, sodass lebenslang täglich Insulin gespritzt werden muss. 85 bis 95 Prozent der Patienten sind Typ 2-Diabetiker, die eine Insulinresistenz aufweisen. Insulin wird bei Diabetes Typ 2 nicht ausreichend produziert und selbst die verringerte Insulinproduktion nicht richtig verwertet. Typ 2-Diabetes beginnt zumeist im Erwachsenenalter, aber auch Kinder können betroffen sein. Je älter der Mensch ist, umso größer ist das Diabetes-Risiko: Jeder vierte ältere Mensch erkrankt an der Zivilisationskrankheit Diabetes, die durch eine ungesunde Lebensweise, durch mangelnde Bewegung, Übergewicht und zu fette und zu kalorienreiche Nahrung entsteht. Bei unzureichend eingestelltem Blutzucker besteht die Gefahr schwerwiegender Folgeerkrankungen wie Netzhaut- und Nierenerkrankungen, Nervenschädigungen, Schlaganfall und Herzinfarkt.

Die individuelle Belastung der Patienten durch die Angst vor solchen Folgeerkrankungen scheint depressiven Verstimmungen Vorschub zu leisten. Von Bedeutung sind hierfür aber auch die Erfordernisse des Diabetes, sich in der Lebensführung konsequent auf die Erkrankung einzustellen und sie täglich aktiv selbst mit zu behandeln (Blutzuckermessung, Ernährung, Bewegung, Medikamentenanpassung). Studien haben ergeben, dass bis zu 24 Prozent aller Diabetiker depressive Verstimmungen haben, ein Teil von ihnen sogar manifeste Depressionen.

Negativspirale
Diese depressiven Verstimmungen oder Depressionen wiederum beeinträchtigen die Patientenbeteiligung bei der Blutzuckereinstellung. Die Betroffenen vernachlässigen  Blutzuckerkontrolle und Medikamenteneinnahme. Eine Negativ-Spirale wird in Gang gesetzt, denn ein schlecht eingestellter Blutzuckerstoffwechsel kann wiederum Depressionen verursachen, sodass sich eine Verschlechterung des Diabetes und depressive Verstimmungen wechselseitig bedingen.

Depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen können Folgen eines schwankenden Blutzuckerspiegels sein. Aber auch typische Alterserscheinungen wie Bewegungseinschränkungen (Gehhilfe) können diese depressiven Symptome verursachen. In der Folge fühlen sich die Betroffenen nicht mehr imstande, ihren Blutzucker regelmäßig zu kontrollieren und zu dokumentieren, ihre Medikamentendosis den jeweiligen Werten anzupassen und die Medikamente regelmäßig einzunehmen.

Lebensstil
Auch die Einstellung des Lebensstils auf die Erfordernisse des Diabetes überfordert den depressiv Verstimmten. Mangelnde Bewegung, ungesunde Ernährung, sozialer Rückzug und Interessenlosigkeit gegenüber der eigenen Erkrankung sind die Folgen.

Obgleich Studienergebnisse zeigen, dass ältere Patienten mit Diabetes Typ 2 die größte Gruppe der von depressiven Verstimmungen betroffenen Diabetiker stellen und damit ihr Risiko für schwere Folgeerkrankungen oder gar Sterblichkeit um das fünf- bis neunfache erhöht ist, wurde dieser Zusammenhang bislang kaum wissenschaftlich berücksichtigt. Nun soll eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angelegte Studie drei Behandlungsmöglichkeiten für Diabetiker mit leichten Depressionen (Alter zwischen 65 bis 85 Jahre) wissenschaftlich überprüfen.

Die MIND-DIA-Studie (Minor Depression und Diabetes) wird unter der Leitung des Diplom-Psychologen Prof. Dr. Frank Petrak (LWL-Klinik Dortmund, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum) durchgeführt.

Parallel durchgeführt und später in ihrer Wirksamkeit verglichen werden:

  • eine Gruppenverhaltenstherapieeine
  • intensivierte ärztliche StandardbehandlunG
  • Eine zum Motto „Erfolgreich altern mit Diabetes“ geleitete Gesprächs- und Aktivitätengruppe.

Die Studie hat im September 2009 begonnen und ist zunächst auf 15 Monate ausgerichtet, soll aber, so ist es geplant, sieben Jahre weitergeführt werden.

Nach einer sorgfältigen Eingangsdiagnose werden die Patienten den drei Gruppen zugeteilt und durch die regionalen Studienzentren betreut.

Schwerpunktpraxen, Diabetes-Ambulanzen und -Kliniken in Dortmund, Essen, Bochum, Frankfurt/M., Offenbach, Mainz und Wiesbaden führen das Projekt durch, an dem Interessierte noch teilnehmen können.

Diagnose:
Im Gespräch versucht der Arzt, u. a. mit Hilfe eines Fragebogens, depressive Verstimmungen festzustellen. Besonders bei Patienten, bei denen die Einstellung des Blutzuckerwertes immer wieder schwierig ist, bei denen mehr Komplikationen auftreten und die sich in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt fühlen, wird der  Arzt aufmerksam prüfen, welche Symptome für eine depressive Verstimmung sprechen.

Symptome:

  • Die Krankheit mit ihren Anforderungen (Selbstmanagement) und Einschränkungen (Ernährung, Gewicht) wird als stressig empfunden oder nicht akzeptiert
  • Die konsequente Behandlung wird vernachlässigt.
  • Einschränkung der Mobilität
  • Aufgrund depressiver Verstimmungen zieht der ältere Patient sich zurück, wird dadurch immer immobiler
  • Der Antrieb ist verringert, der Patient zieht sich zurück. Ihm fehlt das Interesse an anderen Menschen und Unternehmungen. Alles erscheint zu anstrengend.
  • Verminderte Entscheidungsfähigkeit.
  • Negative Gedanken, vermindertes Selbstwertgefühl, Selbstvorwürfe,    Schlafstörungen: zu wenig Schlaf oder übertriebenes Schlafbedürfnis,    wenig oder übertriebener Appetit

Therapie

  • Intensivierte Standardbehandlung: Arzt bietet Medikament oder eine Verordnung für eine Psychotherapie an
  • Gesprächs-und Aktivitätengruppe zum Thema „Erfolgreich altern mit Diabetes“
  • Eine geleitete „Selbsthilfegruppe“, die über das Thematisieren der Probleme, die durch Diabetes entstehen, und über gemeinsame Aktivitäten wie „Kochen für Diabetiker“ u. ä. Betroffene aus ihrem ‚Schneckenhaus’ und ihren depressiven Verstimmungen herausholen soll. Angenehme Erlebnisse sollen einen Ausgleich zum belastenden Alltag schaffen.

Gruppen-Verhaltenstherapie: Mit einem diabetologisch geschulten Psychotherapeuten werden in der Gruppe Strategien zur Bewältigung von depressiven Beschwerden erarbeitet. Themen sind: die Krankheit ins Leben integrieren, aktiv zum Ziel kommen, Gedanken und Bewertungen hinterfragen, unproduktive Grübeleien unterbrechen. Nach zwölf Wochen sind die Strategien und Techniken erlernt. In weiteren zwölf  Monaten wird das Erlernte in der Gruppe wiederholt und verfestigt. Übungen zu Hause, ein Patientenbegleitbuch und eine Bewegungstherapie mit Schritt-Zähler, der die zurückgelegte Strecke und die verbrauchten Kalorien dokumentiert, dienen der Rückfallprophylaxe und der Aktivierung.

Quellen
Recherchegespräche mit:
Prof. Dr. Frank Petrak, Leiter der MIND-DIAB-Studie, Schulberg 7-9, WiesbadenDr. Dieter Klein Oberarzt Diabetesstation am Klinikum OffenbachKristin Plack, Projektkoordination MIND-DIA-Studie, Psychologisches Institut Uni Mainz

sowie
Fachveröffentlichungen Prof. Petrak Diabetes-Recherche im InternetDAD-Studie (Diabetes und Depressionen)

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